Auf den ersten Blick scheinen die Zusammenhänge klar: Wenn ein Staat zu wenig in sein Bildungssystem investiert, schrumpft langfristig seine Wirtschaft. Denn Innovation basiert auf wissenschaftlichem Fortschritt und allgemeinem Wohlbefinden der Gesellschaft. Doch wie verhält es sich im Umkehrschluss? Steigen die Kosten bei unzureichender Bildung außerdem? Dieser Frage widmete sich das Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
Hier geht es zur vollständigen Studie: GP_Unzureichende_Bildung_Folgekosten.pdf (bertelsmann-stiftung.de)
Die Studie setzt bei den Zahlen von Schulabgänger:innen ohne Schulabschluss bzw. Berufseinsteiger:innen ohne berufliche Qualifikation an. Demnach verlassen jedes Jahr rund 150.000 junge Erwachsene das Bildungs- und Ausbildungssystem ohne Abschluss. Hochgerechnet sind das mehr als 1,5 Millionen 25- bis 34-Jährige.
Seit den 1990ern verringern sich die Chancen für Menschen ohne Schul- oder Berufsbildungsabschluss auf dem Arbeitsmarkt, da die Anforderungen der Arbeitgeber steigen. Die Wahrscheinlichkeit, den Einstieg in das Berufsleben zu finden, ist für diese Menschen also äußerst gering.
Geringe Teilhabechancen führen zu hohen Kosten im Sozialsystem
„Das Einkommen der ausbildungslosen Menschen wird über ihre Erwerbsbiografie hinweg relativ niedrig sein, so dass sie immer wieder Gefahr laufen, ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familie nicht eigenständig bestreiten zu können. Sie werden drei- bis viermal eher von Arbeitslosigkeit betroffen sein als ausgebildete Fachkräfte.“ (Quelle: GP_Unzureichende_Bildung_Folgekosten.pdf (bertelsmann-stiftung.de) S. 8)
Die Studie beziffert die durch diese geringen Teilhabechancen bei den öffentlichen Haushalten anfallenden Folgekosten: entgangene Lohnsteuern, entgangene Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, auszuzahlendes Arbeitslosengeld I und Sozialleistungen. Was die Studie noch nicht beziffert, sind die Kosten für das Gesundheitssystem. Denn Menschen, die in Armut leben sind überproportional häufig von chronischen Erkrankungen betroffen. (Quelle: Arme sind häufiger krank – Hans-Böckler-Stiftung (boeckler.de))
„Die Berechnungen zeigen, dass pro Jahr für jeden in den Arbeitsmarkt eintretenden Jahrgang an 21-Jährigen mit unzureichender Bildung bei den öffentlichen Haushalten beachtliche Folgekosten entstehen: Über eine Erwerbsbiografie von 35 Jahren belaufen sich dies auf 1,5 Milliarden Euro (abdiskontiert). Dieser Betrag ergibt sich aus der Differenz der heutigen Situation mit einer Bildungsverteilung, in der nur die Hälfte der heute unzureichend Gebildeten in den Arbeitsmarkt einsteigt. Im Umkehrschluss können jährlich 1,5 Milliarden Euro vermieden werden, wenn es gelänge, mehr jungen Erwachsenen eine Perspektive für ihr Leben zu eröffnen. Dabei entstehen diese Folgekosten natürlich nicht nur für die 150.000 Personen, die jedes Jahr ohne Ausbildungsabschluss neu in ihr Berufsleben starten. Angesichts von hochgerechnet etwas mehr als sieben Millionen Menschen im Alter zwischen 25 und 65 Jahren, die keine berufliche Ausbildung haben, dürften sich die gesamten Folgekosten auf einen beachtlichen – nicht konkret bezifferbaren – Gesamtwert summieren.“ (Quelle: GP_Unzureichende_Bildung_Folgekosten.pdf (bertelsmann-stiftung.de) S. 9)
Im Jahr 2022 beliefen sich die öffentlichen Bildungsausgaben bei etwa 4,6 % des BIP (Quelle: https://de.statista.com/themen/1115/bildungsausgaben/). Dabei liegt Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Es zeigt sich, dass vor allem die nordischen Länder überdurchschnittlich viel in Bildung investieren. 2020 investierte Schweden 7,2 % seines BIP und Island 7,7% seines BIP in öffentliche Bildung. Da der BIP in jedem Land unterschiedlich hoch ist, lohnt sich der Vergleich über die Pro-Kopf-Ausgaben, gemessen in sogenannten Kaufkraftstandards (der Kaufkraftstandard entspricht dem Wert nach dem EU-Durchschnitt der Kaufkraft des Euro):
- Norwegen 192 €
- Schweden: 155 €
- Island: 149 €
- Finnland: 131 €
- Deutschland: 100 €
Daraus wird ersichtlich, dass Schweden pro Kopf etwa 55 % mehr für Bildung ausgibt, als Deutschland (Quelle: Öffentliche Bildungsausgaben | Europa | bpb.de).
Mehr Geld allein führt nicht zum Erfolg
Auch wenn sich die Expert:innen einig sind, dass Deutschland zu wenig in Bildung investiert, wird mehr Geld im System die Probleme nicht von alleine lösen. Es braucht darüber hinaus strukturelle Reformen. Neben der Pisa-Studie zeigen weitere Untersuchungen, dass vor allem die geringe soziale Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems Ungleichheiten verstärkt und Teilhabechancen verbaut (Quelle: PISA 2022: Wie Leistungsniveau und Chancengleichheit in Schulsystemen zusammenhängen | Bildung | bpb.de)
Neben strukturellen Reformen ist es entscheidend, in welchen Bereichen des Bildungssystems und für welche Maßnahmen Geld investiert wird. Erfolgreiche Bildungsländer wie Schweden und Finnland sorgen dafür, dass Bildung nichts kostet. Hier werden sämtliche Ausgaben für Essen, Transport, Lernmittel und sogar Ausflüge vom Staat übernommen.
Außerdem zeigt sich, dass besonders im frühkindlichen Bereich Teilhabechancen ausgeglichen werden können:
„Sucht man auf der Basis bildungsökonomischer Erkenntnisse nach einer Antwort auf die Frage, wann und in welcher Phase des Lebensverlaufs Bildungsinvestitionen besonders effektiv und effizient sind, so weisen viele Studien auf die hohe Effektivität und Effizienz früher Bildungsinvestitionen hin. Solche Investitionen versprechen nicht nur eine hohe Rendite, sondern können auch zu einer Reduktion früher Ungleichheiten beitragen: Die bildungsökonomische Forschung zeigt, dass insbesondere Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien von frühen Investitionen profitieren. […] In den Arbeiten von Havnes und Mogstad zeigt sich, dass die Einkommensungleichheit in Norwegen bedingt durch einen Ausbau der öffentlich finanzierten frühen Bildung und Betreuung abgenommen hat. Tatsächlich konnten von der Reform insbesondere Kinder aus dem unteren Einkommensbereich im Hinblick auf ihre späteren Einkommen profitieren, während dies bei Kindern aus höheren Einkommensgruppen nicht der Fall war.“ (Quelle: Bildungsinvestitionen – wirksames Heilmittel gegen soziale Ungleichheit? – Wirtschaftsdienst)
Fazit
In einer Kombination aus höheren Investitionen in die Bildung, strukturellen Reformen des Systems und qualitativem Einsatz des Geldes besteht für Deutschland die Chance ein hochwertiges Bildungssystem zu erhalten. Dieses enthielte dann exzellente Bildungseinrichtungen mit moderner Ausstattung, gut ausgebildete und motivierte pädagogische Fachkräfte und die Rahmenbedingungen für bedürfnisgerechte Bildung. Daraus resultierte eine höhere Erwerbsbeteiligung und geringere Arbeitslosigkeit, bessere Integration von Migranten durch Bildungsangebote und eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Im internationalen Vergleich wird Deutschland dadurch attraktiv für hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland und als Forschungsstandort für globale Unternehmen. Insgesamt ermöglichten uns die Investitionen und Reformen eine Position als wissensbasierte Volkswirtschaft mit hoher Lebensqualität, in der wir für globale Herausforderungen gut gerüstet wären.
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