„Man kann einem Menschen nichts lehren. Man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“
Galileo Galilei
Wissen kann nicht vermittelt werden, aber Interesse und Begeisterung können entfacht werden.
Aus dieser Überzeugung heraus gestalte ich meine Arbeit als Lernraumdesignerin. Ich möchte das im Folgenden näher beschreiben.
Wie Menschen lernen
In seinem hervorragenden Buch „How People Learn“ räumt Nick Shackleton-Jones mit verstaubten Lernparadigmen gründlich auf. Dabei beruft er sich zurecht auf aktuelle Ergebnisse aus der Wissenschaft: Wissen kann nicht vermittelt werden, denn das menschliche Gehirn ist keine Speicher-Festplatte.
„Learning: a change in behaviour or capability as a result of memory.
Memory: the encoding of an affective response to an experience, which allows that experience to be reconstructed.“
Shackleton-Jones, Nick (2023): How People Learn – A new Model of Learning and Cognition to improve Performance and Education. London / New York: Kogan Page Limited. S. 49.
Die neurowissenschaftliche Forschung zeigt uns inzwischen sehr klar, was im Gehirn passiert, wenn wir lernen. In unserem Gedächtnis werden keine Fakten und Daten abgelegt, wie auf einem Computer, die wir beliebig abrufen können. Lernerfahrungen hinterlassen stattdessen neuronale Abdrücke. Diese Abdrücke sind höchst subjektiv, da sie direkt in das bereits bestehende Netzwerk eingebettet werden. Und diese Erfahrungen sind immer an emotionale Muster geknüpft. Wenn eine Erinnerung in meinem Gedächtnis aktiviert wird, dann leuchtet dasselbe neuronale Muster, verteilt über mehrere Teile meines Gehirns, auf, das aktiviert war, als ich diese Erfahrung das erste Mal erlebte. Und jedes Mal, wenn ich die Erinnerung reaktiviere, wird sie neu und verändert, abgespeichert. Je öfter ich eine Erinnerung aufrufe, desto mehr verfestigt sich das Muster. Je seltener ich eine Erinnerung aufrufe, desto mehr verblasst sie.
Für das Lerndesign können wir aus dieser Forschung ableiten: Lernen ist besonders nachhaltig, wenn es in einem Kontext positiver Emotionen geschieht, und wenn wir die Lernerfahrung an bereits bestehende anknüpfen können, also kontextbasiert lernen. Und: je aktiver ich an dieser Erfahrung selbst teilhabe, desto mehr Gehirnareale werden aktiviert und damit das Muster verstärkt.
Und die Forschung hat auch klar gezeigt: Unsere Gehirne sind soziale Gehirne.
Die Gestaltung von Lernräumen ist ein Designprozess
Diese Perspektive habe ich dank meiner Kollegin und Mentorin, Joana Kompa, gewonnen und sie basiert auf der Arbeit von Diana Laurillard.
Lehre wird manchmal als Kunst beschrieben, sogar als Handwerk. Aber diese Definitionen sind zu eng. Denn Lehre ist sowohl ein kreativer Beruf und er erfordert Übung und Methodik.
„Teaching as a design science in the sense that its aim is to keep improving its practice, in a principled way, building on the work of others.“
Laurillard, Diana (2012): Teaching as a Design Science – Building Pedagogical Patterns for Learning and Technology. New York: Routledge. S. 8.
Meine Aufgabe als Lernraumdesignerin ist es, Räume zu gestalten, die es den Lernenden ermöglichen, selbstwirksam zu lernen. Räume, in denen sie die Rahmenbedingungen, Ressourcen und Inspirationen finden, die sie brauchen, um Lernerfahrungen erleben zu können.
Und es ist die Aufgabe der Lernenden, zu lernen.
Ich kann nur die bestmögliche Umgebung dafür schaffen, um sie darin zu unterstützen, ihr Ziel zu erreichen. Wie Montessori es bereits auf den Punkt brachte: „Hilf mir, es selbst zu tun.“
Es beginnt mit psychologischer Sicherheit
Laut der Polyvagal-Theorie von Stephen W. Porges scannt das ANS kontinuierlich unsere Umgebung auf ihre Sicherheit. Das bezeichnet Stephen Porges als Neurozeption. Je nachdem, wie sicher das ANS unsere Umgebung einschätzt, wird einer der drei Zustände aktiviert, wobei die Aktivierung hierarchisch erfolgt und beim jüngsten Teil, dem Zustand zur Kommunikation, beginnt. Wenn der ANS feststellt, dass Kommunikation keine Option ist, aktiviert er den Kampf-oder-Flucht Zustand. Und wenn das keine Option ist, den Zustand der Erstarrung.
Die Polyvagal-Theorie erklärt, dass es nur im ersten Zustand möglich ist, auf die höheren kognitiven Funktionen zurückzugreifen, die wir auch fürs Lernen benötigen.
Porges liefert eine neurowissenschaftliche Begründung für das allen Menschen gleiche Grundbedürfnis nach psychologischer Sicherheit. Timothy R. Clark hat mit seinem Modell „Die vier Stufen psychologischer Sicherheit“ die Antwort auf die Frage geliefert, wie wir psychologisch sichere Räume schaffen, in denen Menschen ihr Potenzial frei entfalten können.
„Psychologische Sicherheit ist ein Zustand, in dem man sich (1) einbezogen fühlt, (2) sich sicher fühlt, zu lernen (3) sich sicher fühlt, etwas beizutragen, und (4) sich sicher fühlt, den Status quo herauszufordern – all das ohne die Angst davor, in Verlegenheit gebracht, ausgegrenzt oder bestraft zu werden.“
Clark, Timothy R. (2023): Die vier Stufen der psychologischen Sicherheit. Auf dem Weg zu mehr Vielfalt und Innovation am Arbeitsplatz. München: Verlag Franz Vahlen GmbH. S. 22.
Als Lernraumdesignerin ist es meine Aufgabe, Lernräume zu schaffen, in denen nicht nur gelernt wird, sondern in denen die Lernenden auch beitragen und sogar Neues schaffen können.