Der digitalisierte Raum

Aus „Bildung 4.0 – Eine Vision für den systemischen Wandel„, von Madita Hänsch

Während Estland bereits in den 90er-Jahren alle seine Schulen digitalisiert hat und Informatik und Robotik usw. fester Bestandteil des Lernplans geworden sind, gibt es in 2024 nach wie vor Bildungshäuser in Deutschland, die kein Wlan haben. Trotz dieses desaströsen Zustands besteht heute die Chance, unsere Bildungshäuser jetzt mit Sinn und Verstand zu digitalisieren, da wir uns auf die Studien, Daten und Erfahrungen unserer Nachbarländer berufen können. Demnach zeichne ich im Folgenden ein Bild von der Vielfalt und den Potenzialen digitalisierter Lernräume, die bereits erfolgreich Anwendung finden und sich bewährt haben.

Allen voran möchte ich das Modell der Smart Learning Environments (SLEs) aufgreifen. Dieses integriert die Vielfalt vom Internet der Dinge, Virtual Reality, Augmented Reality, Mixed Reality und KI, indem hybride Lernräume geschaffen werden, die aus allen digitalen und analogen Medien das Beste sinnvoll kombinieren, um die Lernenden in ihrem Lernprozess zu unterstützen:

Demnach sind SLEs digital angereicherte, physische Lernumgebungen, die durch digitale Lernumgebungen erweitert werden, um den Lernprozess zu optimieren. Der Zusammenhang zwischen Präsenzformaten und virtuellen Lernumgebungen wird mittels angereicherter Methoden und Strategien gefördert, wodurch für alle Lernenden ein bereichernder Kontext mit neuen Lernmöglichkeiten geschaffen wird.

 Freigang (2024): S. 49f.

Nehmen wir zum Beispiel die virtuelle Reise zur Arktis, die das Unternehmen Heartucate entwickelt hat. Mit wenig Hardware verwandelt sich das Klassenzimmer in die Arktis. Die Schüler:innen werden zu Forscher:innen und bestreiten gemeinsam eine Expedition. All dies wird mit Augmented Reality umgesetzt. Die Schüler:innen üben sich in Metakompetenzen wie sozialen Fähigkeiten und dem Entwickeln von Strategien zur Lösungsfindung, aber auch in Naturwissenschaften. Angebote wie diese entsprechen dem phänomenbasierten Lernen – und machen sogar Spaß!

Quelle: pixabay.com

An dieser Stelle möchte ich eine weitere Begriffsklärung vornehmen, um die neuen Technologien der virtuellen Lernwelten zu definieren: 

Extended Reality/Erweiterte Realität (XR) bezieht sich auf alle kombinierten realen und virtuellen Umgebungen und Mensch-Maschine-Interaktionen, ist also der Oberbegriff für unterschiedliche Ausprägungen, die von Augmented Reality (AR) über Mixed Reality (MR) bis Virtual Reality (VR) reichen. Erzeugt werden diese durch Computertechnologie und Wearables. XR bietet ein Erlebnis für die Sinne. Die Grenze zwischen Realität und simulierter Welt verschwimmt, da man visuell, akustisch oder auch haptisch in eine andere Welt eintauchen kann. In der Augmented Reality (AR) werden digitale Informationen und virtuelle Objekte in der realen Welt überlagert. Diese Erfahrung reichert das physische Lernumfeld mit digitalen Details wie Bildern, Text und Animationen an, auf die mittels AR-Brille oder über Bildschirme, Tablets und Smartphones zugegriffen wird. Die User sind nicht von der realen Welt isoliert, können interagieren und sehen, was sich vor ihnen abspielt. Virtual Reality (VR) lässt User im Gegensatz zur Augmented Reality vollständig in eine simulierte digitale Umgebung eintauchen und hat – anders als AR – gar nichts mehr mit der realen Welt zu tun. Ein VR-Headset oder ein am Kopf befestigtes Display sorgt für eine 360-Grad-Ansicht einer künstlichen Welt, die das Gehirn täuscht und den Usern vorgaukelt, sie würden z.B. auf dem Mars spazieren, in der Tiefsee tauchen oder in neue Welten eintreten. In der Mixed Reality/gemischten Realität (MR) existieren digitale und real existierende Objekte nebeneinander und können in Echtzeit miteinander interagieren. Sie erfordert ein MR-Headset (z.B. Microsoft HoloLens) und sehr viel mehr Rechenleistung als VR oder AR.

 Freigang (2024): S. 60.

Zum einen sind digitale Medien ein fester Bestandteil unserer Lebenswelten geworden. Um einen sicheren und kompetenten Umgang mit ihnen zu erlernen, ist es Aufgabe der Bildungshäuser, sie ebenso selbstverständlich in die Lernumgebungen zu integrieren. Wenn sie in der Arbeitswelt als alltägliche Werkzeuge dienen, so ist es die Aufgabe der Bildungshäuser, die Kinder und Jugendlichen auf diese Arbeitswelt vorzubereiten und dabei mit Sinn und Verstand vorzugehen. Denn wie jüngst Dänemark zeigt ( Digitalisierung in Dänemarks Schulen: Bildungsminister ruft zur Umkehr auf – Politik – SZ.de (sueddeutsche.de) [14.03.2024]), ist ein zu Viel an digitalen Medien für den Menschen nicht mehr förderlich, sondern schädlich. 

Die Gefahren bei Nutzung digitaler Medien bei Mangel von Informations- und Medienkompetenz bzw. sogenannter Digital Literacy: 

  • Gesundheitliche Auswirkungen auf die Physiologie und Psyche
  • Auswirkungen auf das Demokratieverständnis durch Verbreitung von Falschinformationen und Radikalisierung in Filterblasen
  • Zugriff auf illegale Substanzen und Waffen im Darknet und auf frei zugänglichen Plattformen
  • Gefahren durch Grooming und sexuelle Belästigung sowie Missbrauch, vor allem bei Minderjährigen
  • Gefahren durch Mobbing und Hetze im Netz

Den sicheren und kompetenten Umgang mit diesen Gefahren müssen Kinder und Jugendliche in den Schulen lernen. Deshalb sollten die digitalen Medien nicht nur als Arbeitswerkzeuge in die Lernräume integriert werden, um dort die Vorteile dieser Medien auszuschöpfen, sondern auch, damit die dringend benötigte Informations- und Medienkompetenz bzw. Digital Literacy entwickelt werden kann, um sich als mündige Bürger:innen im digitalen Raum bewegen zu können. 

Die Vorteile des Einsatzes von digitalen Medien als Werkzeuge in Lernräumen sind:

  • Individualisierung der Lernprozesse
  • Erweiterung der Lernräume, z.B. Reise in die Arktis
  • Sichere Experimentierräume, z.B. im Umgang mit Chemikalien
  • Förderung der Kreativität
  • Mehr Möglichkeiten zur Förderung sozialer Kompetenzen, indem über physische Grenzen hinaus neue Begegnungsräume geschaffen werden
  • Abbau kultureller Hürden, z.B. dank simultaner Sprachübersetzung
  • Barrierefreiheit und Inklusion
Quelle: pixabay.com

Inzwischen ist auch die Künstliche Intelligenz keine Science Fiction mehr. Neben den Algorithmen, die schon lange unsere Filterblasen bestimmen und unser Einkaufsverhalten beeinflussen oder unser Wetter vorhersagen, erhalten nun die Chatbots von OpenAI und Co. Einzug in unsere Lebensrealitäten. Mit ihnen steigt die Gefahr durch die jetzt noch einfachere Manipulation von Text, Bild und Audio – und die Potenziale zur Automatisierung der Arbeitswelt und Erweiterung der Lernräume. 

KI kann den Lernbegleitungen einiges an Arbeit abnehmen und die Lernenden individuell und bedürfnisgerecht in ihren Lernprozessen fördern. Dabei betrachten wir, wie mit allen digitalen Werkzeugen, diese als Ergänzung. Denn nach wie vor ist die zwischenmenschliche Resonanz ausschlaggebend für erfolgreiche Lernprozesse. 

Doch die KI bleibt immer höflich und geduldig und kann rund um die Uhr helfen, während die Lernbegleitung nicht zeitgleich an mehreren Orten sein kann. Die KI spricht jede Sprache und kann riesige Datenmengen verarbeiten. Assistenten wie fiete.ai geben schon jetzt Lernenden wertschätzendes Feedback. Die intelligente Suchmaschine perplexity.ai hilft bei der Recherche. Und Maraike von Synapted unterstützt die Lernenden Schritt für Schritt beim Finden der Lösung einer kniffligen Aufgabe. 

All diese Werkzeuge potenzieren die Möglichkeiten zur Gestaltung von Lernräumen. Sirkka Freigang beschreibt die Eigenschaften von Smart Learning Environments demnach wie folgt: 

Ein Smart Learning Environment kann demnach

  1. den Standort der Lernenden erkennen (Location Awareness), 
  2. thematische Zusammenhänge erkennen (Context Awareness),
  3. soziale Beziehungen erkennen (Social Awareness),
  4. mit verschiedensten Ressourcen und Plattformen Daten austauschen (Interoperability),
  5. eine nahtlose Vernetzung zu Lernservices herstellen (Seamless Connection),
  6. sich an den Bedarf und die Vorlieben der Lernenden anpassen (Adaptability),
  7. überall und jederzeit für künftige Angebote analysieren und speichern (Whole Record),
  8. Mimik und (Körper-)Sprache erkennen (Natural Interaction) und
  9. Intrinsisch motivierende Lernformen unterstützen (High Engagement).
   Freigang (2024): S. 58.

Schließlich soll auch das Metaversum (engl. Metaverse) nicht unerwähnt bleiben. Dieses innovative Frontend ist die nächste Stufe in der Entwicklung der virtuellen vernetzten Welten. Zukünftig können die Nutzer:innen mit ihren Avataren in diese 3D Spiele-, Lern- und Begegnungsräume eintauchen. Unternehmen wie Meta und Microsoft investieren jedes Jahr Millionen in die Entwicklung und den Ausbau. Die zusätzliche visuelle Dimension des Metaversum erleichtert das Lernen komplexer Inhalte. Hier gipfelt die Entwicklung aller bisherigen digitalen Medien: 

Das Metaversum oder englisch Metaverse ist ein Konzept, bei dem ein digitaler Raum durch das Zusammenwirken virtueller, erweiterter und physischer Realität entsteht. Hauptaspekt ist es dabei, die verschiedenen Handlungsräume des Internets zu einer Wirklichkeit zu vereinigen. Das Konzept wird häufig mit einem starken Fokus auf virtuelle Sozialität beschrieben; eine zukünftige Iteration des Internets, in Form persistenter, gemeinsam genutzter, virtueller 3D-Räume, die zu einem wahrgenommenen virtuellen Universum verbunden sind. Solche sollen Individualisierung und alltägliche Aktivitäten in einem vergleichbaren Maße ermöglichen wie die physische Wirklichkeit.

 Metaversum – Wikipedia [15.03.2024]

Das Metaversum lässt sich schon heute elegant an Datenbanken wie Lernmanagementsystemen anbinden.

Das vollständige Buch ist hier kostenlos abrufbar: https://docs.google.com/document/d/15bTj8qyzC0HLpzr6ETigBSrhdXqIsEUIkW0uQKB5z8w/edit?usp=sharing


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