Aus „Bildung 4.0 – Eine Vision für den systemischen Wandel„, von Madita Hänsch
Es gibt unzählige Studien, die die positiven Einflüsse der Natur auf den Menschen belegen. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich ist die Natur unser ursprünglicher Lebensraum, in dem wir uns in den letzten tausenden von Jahren entwickelt haben.
Bis die Institution Schule gegründet wurde, gab es für den Großteil der Menschheit die Natur als Lernraum, das Spiel als Lernmethode und das Lernen im sozialen Umfeld. Institutionalisiertes und formelles Lernen ist eine sehr junge Erfindung in unserer Zeitgeschichte. Derweil hat uns der natürliche Lernraum und das Freispiel als Menschheit sehr weit gebracht. Dass die Natur inzwischen so stark aus unseren gesellschaftlichen Räumen verbannt worden ist und in der Schule mehr Beton als Grünfläche die Außenanlagen zieren, ist eine Entwicklung, die uns mehr schadet als nützt.
Wir brauchen die Natur, um unsere Potenziale voll ausschöpfen zu können.
Wie fördert die Natur das Lernen?
Die Natur fördert das Lernen auf vielfältige Weise. Durch direkte Erfahrungen in und mit der Natur, beispielsweise durch das Beobachten von Pflanzen und Tieren, das Sammeln von Naturmaterialien oder das Erleben der Elemente, können Kinder mit allen Sinnen lernen. Dies führt zu einem ganzheitlichen Lernen mit Hand, Herz und Kopf. Zudem unterstützt die Naturpädagogik die Entwicklung einer positiven Beziehung des Menschen zur Natur, was letztendlich auch das eigene Handeln beeinflussen soll. Darüber hinaus haben regelmäßige Naturerfahrungen einen positiven Einfluss auf die gesamte kindliche Entwicklung, beispielsweise auf die Reifung der Sinne, das Gleichgewichtsgefühl, die Motorik und das Immunsystem. Die Natur bietet zudem Raum für vielfältige Bewegungsmöglichkeiten und fördert die Fantasie und Kreativität der Kinder. Insgesamt trägt die Natur dazu bei, dass Kinder sich in ein vorhandenes Sinngefüge einfinden und ein sinnerfülltes Leben erfahren.
https://www.perplexity.ai/search/How-does-school-rddg6NWPS6S5WqqS8sTwgA#49 [27.02.2024]
Beginnen wir bei den Grundbedürfnissen des Menschen, die erfüllt sein müssen, um nachhaltiges Lernen möglich zu machen.
Wir entstammen der Natur. Die Natur ist unser Lebensraum. In Jahrmillionen der Evolution haben wir uns im Einklang mit der Natur entwickelt. Wir sind mit ihr verbunden. Wir sind von ihr abhängig.
Inzwischen können wir wissenschaftlich belegen, wie sehr wir von ihr abhängig sind. Über die Tatsache hinaus, dass wir Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Nahrung zum Essen und die Wärme der Sonne benötigen, um zu existieren, fördert der Aufenthalt in der Natur unser psychisches und physisches Wohlbefinden. Nur die Tatsache, dass ich mich in der Natur, dort, wo es grün ist, aufhalte, und nichts weiter tue, als zu atmen, entfacht bereits vielfältige Prozesse in meinem Körper, der mein allgemeines Wohlbefinden und meine Gesundheit fördert. In seinem Buch Der Biophilia-Effekt fasst Clemens G. Arvay umfassend die Studienlage zusammen, die verschiedene förderliche Effekte untersucht haben – von den Anti-Krebs-Terpenen, über die Aktivierung des Immunsystems hin zur Stressreduktion (vgl. vgl. Arvay (2020).
Die Natur bietet uns alles, was wir benötigen, um ganz Mensch zu sein. Dieses Privileg sollten wir uns mit wachsendem Alter nicht verwehren, sondern von Beginn bis Ende in unsere Entwicklung mit einbeziehen, um von diesem Potenzial zu profitieren:
Indem wir zulassen, dass Kinder zunehmend ohne Natur aufwachsen, ignorieren wir ein Grundbedürfnis der heranwachsenden menschlichen Seele. Womöglich droht aus unserem Bild vom Menschen sogar das Verständnis zu schwinden, was Leben heißt.
Der Mensch ist in seiner seelischen Entwicklung auf den symbolischen Spiegel der anderen Wesen angewiesen, um sich selbst zu verstehen und ein gesundes Selbst zu entfalten. So wie ein Mensch von den Körpern der Tiere und Pflanzen als Nahrung abhängt, benötigt er ihre gelebte Gegenwart zu seiner emotionalen und kognitiven Entfaltung. Forscher können heute zeigen, wie sehr unsere geistigen Konzepte und die Bilder unsere Sprache auf die Erfahrungen unseres Körpers und die Erfahrungen in der Natur zurückgehen. Diese Verbindung erklärt auch die Zeiten überdauernde Kraft vieler kultureller Symbole. Etwa das des Baumes, das ein Kind erklettert, ohne von ängstlichen Hütern und hektischen Betreuern daran gehindert zu werden. Es erklimmt den Stamm des Lebens selbst, der ihm so einen direkten, sinnlichen Kontakt mit der Wirklichkeit seiner eigenen Existenz vermittelt.
Alte Obstgärten, ungemähte Wiesen und Brachland sind Freiräume. Sie wirken nicht nur als Begegnungsstätten mit anderen Wesen – sie bieten Kindern die Chance spielerisch ihr Ich zu entfalten. Zwischen Bäumen und Steinen regiert sie kein Erwachsener, hier bestimmen sie selbst, hier sind sie eigenständige Partner der Schöpfung. Andere Lebewesen treten Kindern als selbstständige Akteure gegenüber, die sich nach ihren eigenen Gesetzen verhalten und die dabei von den elterlichen, ja allen menschlichen Regeln unabhängig sind. Das unstrukturierte, imaginative, von Erwachsenen freie Erobern einer wilden Welt betrachten viele Kognitionsforscher inzwischen als essentiell für eine gesunde psychomotorische Entwicklung. Untersuchungen zeigen: In der Wildnis spielen Kinder anders. Während sie auf angelegten Spielplätzen eher sportliche Wettkämpfe inszenieren, ersinnen Kinder in unstrukturierten Räumen komplexe Abenteuer, die sich über Tage oder Wochen hinziehen können. Entwicklungspsychologen führen die Kreativität und Imaginationsfähigkeit, die ein Kind im späteren Leben entwickelt, auch auf das Maß an Wildnis zurück, in das ein Kind eintauchen durfte.
Natur repräsentiert somit – spielerisch, kreativ, symbolisch, phantasievoll – den belebten Kosmos mit seinen Chancen und Zwängen. In ihr vereinen sich die Gegensätze zum gelungenen Leben. Kreativität, Phantasie, Disziplin, Kooperation, Durchhaltevermögen, Wunder, Gemeinschaft, Teilhabe, Dominanz – all diese widersprüchlichen Eigenschaften können nur gemeinsam das Gewebe der Lebendigkeit knüpfen. So breitet die Natur auf symbolische und intuitiv fassbare Weise den Raum unserer eigenen Seele vor uns aus. Natur ist der zentrale Baustein einer gesunden kognitiven Entwicklung. Aber nicht nur, weil ihre Vielfalt und Komplexität genau die richtige Dosierung für die kognitive Entwicklung des Kindes enthält, sondern vielmehr, weil die Zusammenhänge anderer Lebendigkeit so etwas wie ein Ding gewordenes kognitives Feld darstellen. Natur ist ein psychischer Raum, der sich begehen, begreifen, schmecken, riechen, zärtlich umarmen und schmerzlich erfahren lässt. Gerade in dieser Lebendigkeit bietet er dem Kind einen Spiegel dessen, was es heißt, am Leben zu sein. Indem Kinder andere Lebewesen suchen, fahnden sie in Wahrheit nach ihrer eigenen Lebendigkeit. Indem sie ihnen begegnen, treffen sie auf das, was sie selbst zu sein vermögen, und bringen erst so ihre emotionale und kognitive Identität hervor.
Weber, Andreas (2014): Mehr Matsch! Kinder brauchen Natur. Berlin: Ullstein Buchverlage GmbH. S. 19ff.
Mit welchen Maßnahmen bringen wir die Kinder und Jugendlichen zurück zur Natur – von Beginn an?
- Ecken der Wildnis auf dem Kitagelände und den Schulhöfen anlegen
- Forschungsreisen, Abenteuer, Schnitzeljagden, Baumhaus-Projekte, usw. den Kindern und Jugendlichen anbieten – Kurzum: Alle Facetten der Wildnis- und Naturpädagogik einbeziehen
- Ausflüge zu Bauernhöfen, Naturschutzgebieten und Tierparks, die naturnahe Erlebnisse bieten
- Schulgärten anlegen und gemeinsam pflegen
- Ein Kooperationsprojekt mit Tierheimen starten
- Bürohunde für pädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte erlauben, sofern diese geschult im Umgang mit Kindern sind
Und so machen wir uns die Lehren der Natur für die Gestaltung von Innenräumen zunutze:
- Natürliche Materialien, Farben und Formen für die Gestaltung von Innenräumen
- Große Fensterflächen o. ä. Elemente, um das Außen nach Innen zu holen
- Pflanzen als fester Bestandteil der Inneneinrichtung
- Natürliches Licht, wo immer möglich, dem künstlichen Licht bevorzugen
- Frische Luft durch die Räume zirkulieren lassen
Auch in Lernräumen, die vorrangig für Erwachsene eingerichtet werden, sollten diese Lehren Berücksichtigung erfahren. Die Studienlage liefert solch dringende Erkenntnisse angesichts der positiven Effekte von naturnah gestalteten Räumen auf den Menschen, dass wir fahrlässig handeln würden, wenn wir diese ignorierten.
Das vollständige Buch ist hier kostenlos abrufbar: https://docs.google.com/document/d/15bTj8qyzC0HLpzr6ETigBSrhdXqIsEUIkW0uQKB5z8w/edit?usp=sharing
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