Digitalisierte Arbeitswelt

Aus „Bildung 4.0 – Eine Vision für den systemischen Wandel„, von Madita Hänsch

Der Film Hidden Figures erzählt die Geschichte dreier Mathematikerinnen – Katherine Johnson, Dorothy Vaughan und Mary Jackson – die für die NASA arbeiteten. Während des Rennens um die Reise zum Mond zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion, zog der erste Computer bei der NASA ein. Das Team der Mathematikerinnen, die bis dahin alle Berechnungen für die Flüge ins Weltall ohne jegliche Hilfe von Computern berechneten, fürchteten um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze. Doch diese drei starken Frauen nahmen ihre Zukunft selbst in die Hand. Sie lernten in ihrer Freizeit, wie die Programmierung des IBM funktioniert. Als das Rennen um die Reise zum Mond eng wurde, waren es diese Frauen, die das Unmögliche ermöglichten, indem sie als einzige von all den klugen Köpfen der NASA dazu in der Lage waren, den IBM so zu programmieren, dass er die Berechnungen vornehmen konnte – und diese dann auf ihre Richtigkeit überprüfen konnten.

Diese Geschichte erzählt viele Facetten. Ich möchte hier den Fokus auf den Wandel legen, den die Digitalisierung bis heute tagtäglich in unsere Lebenswelten bringt. Denn gerade die Digitalisierung löst bei vielen Menschen Ängste aus. Ängste um die Notwendigkeit, Neues lernen zu müssen, und Ängste um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes. 

Quelle: pexels.com

Es ist weder eine Frage des Geschlechts, noch der Religion, Kultur oder anderer Kategorien, die wir den Menschen gerne zuschreiben – es ist eine Frage des Mindset, der eigenen Einstellung gegenüber der Aufgabe zu lernen und sich weiterzuentwickeln, in Bezug auf das Leben und damit auch die Arbeitswelt, ob ich Angst davor habe, wenn sich die Welt ändert, oder ob ich diese Veränderungen als Chancen und Herausforderungen wahrnehme, an denen ich wachsen kann.

Das Konzept des Growth Mindset prägte der Psychologe Carol Dweck und beschreibt die These, dass ein Mensch mit der richtigen Einstellung dazu in der Lage sein wird, sein Leben lang seine Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Diese Einstellung zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen Herausforderungen begrüßen, Hindernisse überwinden wollen, aus Kritik lernen und Inspiration in den Lebensgeschichten anderer finden. Sie sind davon überzeugt, dass Intelligenz und Meisterschaft eine Frage der Übung sind. 

Im Kontrast zu dem Growth Mindset steht das Fixed Mindset, nach dem Menschen davon überzeugt sind, dass Erfolg und Talent angeborene Qualitäten sind. Dazu fällt mir zum Beispiel ein, dass sich nach wie vor der Glaube hält, dass Menschen entweder sprachlich oder mathematisch begabt seien und es nicht in beiden Bereichen zur Exzellenz bringen könnten. Demnach hätte Leonardo da Vincis Genie nicht existieren können. 

Tatsache ist, dass Leonardo da Vinci, das “Universalgenie”, deshalb so erfolgreich wurde, weil er Spaß am Lernen hatte. Er war neugierig und forschte mit Leidenschaft nach all den Fragen, die sich ihm entgegen stellten:

Leonardo da Vincis Erbe sind Weisheit und Erleuchtung, die für den Triumph über Furcht und Dunkelheit stehen. Er, der nie aufhörte, nach dem Wahren und Schönen zu suchen, knüpfte über seine konsequente Orientierung an Erfahrung und Wahrnehmung ein Band zwischen Kunst und Wissenschaft. Die einzigartige Synthese von Logik und Phantasie, Vernunft und Romantik in seinem Werk hat Gelehrte und Forschende über die Jahrhunderte hinweg immer wieder herausgefordert, inspiriert und verblüfft. Der größte Künstler und Wissenschaftler aller Zeiten ist zum Mythos geworden. In unserer Welt der Spezialisierung und Fragmentierung erscheint Leonardo da Vinci wie ein Leuchtfeuer der allumfassenden Synthese.

 Gelb, Michael J. (1998): Das Leonardo-Prinzip – Die sieben Schritte zum Erfolg. Köln: Ullstein Verlag. S. 277f.

In den 1980ern eroberten Computer den modernen Arbeitsplatz. Hinzu kamen zur selben Zeit einfache Word Prozessoren, Faxgeräte, Laserdrucker und lokale Netzwerke. Dem folgte das Internet in den 1990er Jahren. Damit begann die Digitalisierung der Arbeitswelt.

Während Estland 1991, direkt nach der Unabhängigkeit von der damaligen Sowjetunion, eine Digitalisierungsoffensive der Arbeits- und Bildungssysteme startete, und es so schaffte, dass bis 2000 alle Schulen online waren, versendeten deutsche Lehrkräfte während der Coronapandemie im Jahre 2020 E-Mails mit abfotografierten Arbeitsblättern, die die Schüler:innen ausdrucken, beschreiben, und wiederum fotografieren mussten, um sie per E-Mail an ihre Lehrkräfte zurückzuschicken. Dies taten die Lehrkräfte in der Regel mit ihren privaten Rechnern und Mailadressen (vgl.  Schramm, Dario (2023): Die Vernachlässigten – Generation Corona: Wie uns Schule und Politik im Stich lassen. München: Droemer Knaur GmbH & Co. KG.). Erst 2021 versorgte beispielsweise das Land Berlin seine 33.000 Lehrkräfte mit offiziellen, datensicheren Dienst-E-Mailadressen.

Die Digitalisierung ist eine Aufgabe, die die Bildungshäuser nicht ohne die finanzielle Unterstützung von Bund, Ländern und Kommunen schaffen können. Denn Hard- und Software kosten Geld. Und sie benötigen stabile und schnelle Internetzugänge. Und eine Administration durch IT-Expert:innen. 

Bevor ich jedoch mit dem Digitalpakt sämtliche Klassen in “Ipad-Klassen” verwandle, muss ich meine Fachkräfte, die diese Ipad-Klassen betreuen, mit Dienst-E-Mailadressen, Dienst-Rechnern und all den Software-Tools ausstatten, die in den Unternehmen der Arbeitswelt in 2024 längst selbstverständlich sind.

Und ich muss sie darin weiterbilden, mit all diesen Tools umgehen zu können, sodass sie zur Bereicherung für die alltäglichen Aufgaben werden und nicht länger als zusätzliche Anstrengung und Behinderung für die Arbeitsabläufe gelten.

“[N]ew technology applied to old thinking is not progress.” (Shackleton-Jones (2019): S. 104.)

Wir unterscheiden hier zwischen der Digitalisierung der Infrastruktur und der Digitalisierung der Konzepte und Prozesse – auch Digitalität genannt. Die Digitalität beschreibt die Verbindung zwischen Menschen und digitalen Medien und bezieht sich dabei auf die veränderten Handlungsroutinen, Kommunikationsnormen, soziale Strukturen – in Summe Prozesse und Verhaltensweisen – die mit der Digitalisierung einhergehen. Die Digitalität ist etwas, das Bildungshäuser auch in ihrem eigenen Wirkungskreis erreichen können. Damit sind sie dann bestens gerüstet, um die Digitalisierung umzusetzen, wenn sie mit dem nächsten Digitalpakt tatsächlich kommen sollte. 

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Mit dem Strategiepapier der KMK zum “Lehren und Lernen in der digitalen Welt” haben sich die Ministerien zwar mit der Gestaltung digitaler Lernräume auseinandergesetzt, nicht aber die Digitalisierung und Digitalität der Bildungshäuser als Arbeitgeber berücksichtigt. Wenn von der Digitalität auf Schulebene gesprochen wird, dann stets mit dem Fokus auf die operativen Tätigkeiten im sogenannten “Lehr-Lern-Prozess” oder im Zusammenhang mit der Vernetzung und Kooperation mit anderen Bildungshäusern. Dasselbe geschieht beim Digitalpakt. Hier wird Schritt 2 vor Schritt 1 getan. Denn Tatsache ist, dass nicht nur die Grundausstattung für die Lehrkräfte in Hard- und Software fehlt, auch arbeiten die Verwaltungsebenen der Bildungshäuser oftmals mit veralteter Hard- und Software, aufgrund langjähriger Verträge, die mit diversen Dienstleistern bestehen und nicht aktualisiert werden. 

Bleiben wir beim Beispiel Estland: In Estland teilen sich das zentrale Ministerium für Bildung und Forschung und die Kommunalverwaltungen die Verantwortung für das Bildungswesen. Der nationale Lehrplan und die Lehrerstandards werden von der Zentralregierung festgelegt, während die Gemeinden eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung auf lokaler Ebene spielen. Die Umsetzung der nationalen Leitlinien in die lokale Praxis liegt in der Verantwortung der Kommunen.

Bei der digitalen Infrastruktur trennt Estland klar zwischen den System- und Schulverwaltungsinstrumenten. Die Systemverwaltungsinstrumente, einschließlich der nationalen Bildungsdatenbank (EHIS), werden zentral verwaltet. Die Lernverwaltungssysteme auf Schulebene werden von privaten Unternehmen entwickelt und von den Gemeinden öffentlich beschafft. Darüber hinaus stellt das Ministerium verschiedene digitale Werkzeuge für Verwaltungszwecke bereit, darunter Plattformen zur Berufsberatung, Online-Prüfungssysteme und Systeme für die Zulassung von Schüler:innen. Schließlich fördert die Regierung außerdem den offenen Wettbewerb um Bildungsressourcen und stellt gleichzeitig ihre eigenen Ressourcen öffentlich zur Verfügung, vor allem über ein umfassendes Online-Lernportal.

Die estnische Bildungsstrategie 2021-2035 ist auf einen umfassenderen, sektorübergreifenden nationalen Entwicklungsplan, Estland 2035, abgestimmt. Die Strategie legt den Schwerpunkt auf digitale Inklusion und Digital Literacy und betont die Integration digitaler Kompetenzen auf allen Bildungsebenen. 

Über die DSGVO hinaus regelt eine Reihe von Vorschriften die Nutzung digitaler Werkzeuge in Schulen. Abschließend ergreift die Zentralregierung Maßnahmen, um Schüler:innen und Eltern zu informieren und einzubinden. 

Mehr zu Estlands Beispiel: 8. Estonia | Country Digital Education Ecosystems and Governance : A Companion to Digital Education Outlook 2023 | OECD iLibrary (oecd-ilibrary.org)

Das vollständige Buch zu diesem Auszug ist hier kostenlos abrufbar: https://docs.google.com/document/d/15bTj8qyzC0HLpzr6ETigBSrhdXqIsEUIkW0uQKB5z8w/edit?usp=sharing


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