Feminismus – Was das für mich bedeutet

Ich wurde als unabhängige, selbstständige und selbstbewusste Frau erzogen. Doch mir war lange nicht klar, dass auch ich, als Frau, unbewusst Vorurteile in mir aufgenommen hatte. Es war für mich völlig normal, Frauen und Männer zu beurteilen, zu verurteilen, für ihr Aussehen, ihre Kleidung, ihr Verhalten, ohne diese Menschen wirklich zu kennen, ihre Geschichte, ihre Bedürfnisse, die Kontexte, in denen sie lebten.

Ich wusste auch lange nicht, dass ich von Sexismus und Diskriminierung betroffen bin. Die Romantisierung in Büchern, Serien und Filmen von übergriffigem Verhalten hat auch mich beeinflusst. Ich wusste nicht, dass es nicht okay ist, wenn ein Nein nicht unmittelbar akzeptiert wird. Ich erkannte toxisches Verhalten nicht als das, was es war.

Mein Erwachen begann mit der Me-Too-Bewegung. Das war 2017. Doch diese Erkenntnisreise hat für mich gerade erst richtig begonnen. Bei dieser Reise geht es um mich. Nicht darum, Schuldige zu finden. Es geht nicht darum, anderen etwas wegzunehmen.

Es geht um Empathie, es geht um Gleichberechtigung, um Verbundenheit, um die Anerkennung menschlicher Grundbedürfnisse, um die Anerkennung der Würde des Menschen und ihrer Unantastbarkeit. Es geht darum, uns den Raum zu geben, sie anzuerkennen und zu leben. Es geht darum, zu erkennen, wer wir wirklich sind.

Feminismus – Eine Begriffsklärung

Die Wurzeln des Feminismus reichen bis ins späte Mittelalter und die Frühe Neuzeit zurück. Bereits im 15. Jahrhundert forderte Christine de Pizan in ihren Schriften die Anerkennung der Frau als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft.

Im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung, traten Denkerinnen wie Olympe ge Gouges und Mary Wollstonecraft hervor. De Gouges verfasste 1791 die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“, in der sie die Gleichheit der Geschlechter proklamierte und forderte, dass Frauen dieselben Rechte wie Männer erhalten sollten.

Der Begriff „Feminismus“ entstand erst im 19. Jahrhundert. Im Französischen tauchte das Wort „féministe“ erstmals 1872 auf, als Reaktion auf die zunehmende Debatte über die Gleichstellung der Geschlechter. In dieser Zeit wurde Feminismus als politische und gesellschaftliche Bewegung sichtbar, die sich für die Rechte und die Gleichstellung von Frauen einsetzte (Quelle: Feminismus – Wikipedia).

Die erste Welle des Feminismus (ca. 18. Jahrhundert bis frühes 20. Jahrhundert) entwickelte sich im Kontext der bürgerlichen Revolutionen und der Aufklärung. Sie war geprägt von der Forderung nach rechtlicher und politischer Gleichstellung, insbesondere dem Zugang zu Bildung, Beruf und dem Wahlrecht (Quelle: Geschichte des Feminismus: Von Welle zu Welle ✓ Daten und Fakten).

Die zweite Welle setzte in den 1960er Jahren ein und konzentrierte sich auf gesellschaftliche und strukturelle Ungleichheiten. Themen wie sexuelle Selbstbestimmung, das Recht auf Abtreibung, Gleichstellung m Arbeitsleben und die Kritik an traditionellen Geschlechterrollen standen im Mittelpunkt.

Ab den 1990ern betonte die dritte Welle die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe und setzte sich mit Intersektionalität auseinander, also der Überschneidung von Diskriminierungsformen wie Geschlecht, Herkunft und Sexualität.

Patriarchat vs. Matriarchat vs. Gleichberechtigung

Das Patriarchat ist ein Gesellschaftssystem, in dem Männer dominieren und zentrale Rollen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einnehmen: Soziale Beziehungen, Werte und Normen werden von Männern geprägt, Erbschaft und Abstammung sind meist patrilinear, Frauen sind oft benachteiligt und untergeordnet.

Das Matriarchat ist ein Gesellschaftssystem, in dem Frauen eine zentrale Rolle in der Gemeinschaft und Entscheidungsfindung haben: Sie haben zentrale gesellschaftliche Machtpositionen und Erbschaft erfolgt meist über matrilineare Strukturen.

Die Gleichberechtigung sozialer Geschlechterrollen bedeutet, dass alle Menschen – unabhängig von ihrem sozialen oder biologischen Geschlecht – die gleichen Rechte, Pflichten und Chancen in allen Lebensbereichen haben. Diese Gleichberechtigung bezieht sich darauf, dass gesellschaftliche Erwartungen, Aufgabenverteilungen und Möglichkeiten nicht durch das Geschlecht bestimmt werden dürfen, sondern allen offenstehen.

Wenn alle Geschlechter gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Beruf und Ressourcen haben, steigt die Produktivität und das Wirtschaftswachstum (Quelle: Die Vorteile Der Geschlechtergleichstellung Für Die Gesellschaft – FasterCapital). Gleichberechtigung führt zu besserer Gesundheit und Wohlbefinden, da Frauen und Männer Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten.

Wenn Frauen und Männer gleichberechtigt an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft teilhaben, entstehen vielfältigere Meinungen und bessere Entscheidungen. Das stärkt die Demokratie und führt zu gesellschaftlichem Fortschritt (Quelle: 20210326-kantar-befragung-gleichstellung-data.pdf).

Gleichberechtigung ermöglicht individuelle Freiheit, da traditionelle Rollenbilder aufgebrochen werden: Männer und Frauen können frei über Beruf, Familie und Lebensstil entscheiden. Gleichberechtigung fördert außerdem das Gemeinschaftsgefühl, verringert soziale Konflikte und trägt zu mehr Harmonie und Stabilität bei.

Die männliche Perspektive des Feminismus

Feminismus setzt sich nicht nur für die Rechte und die Gleichstellung von Frauen ein, sondern fordert auch für Männer grundlegende Veränderungen:

  • Der Feminismus kritisiert traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit, die Männer auf Rollen wie „stark sein“, „keine Gefühle zeigen“ oder „Versorger sein“ festlegen. Der Feminismus fordert, dass Männer die Freiheit bekommen, ihre Identität und ihr Verhalten jenseits dieser Stereotype zu gestalten.
  • Im Zuge des Feminismus werden Männer ermutigt, ihre eigenen gesellschaftlichen Privilegien zu reflektieren und sich aktiv für Gleichstellung einzusetzen. Das Ziel ist, Machtverhältnisse zu erkennen und gemeinsam mit Frauen an einer gerechteren Gesellschaft zu arbeiten.
  • Durch die Auflösung traditioneller Rollenzwänge gewinnen Männer neue Möglichkeiten, Beziehungen anders zu gestalten und ihre Rollenrepertoire zu erweitern. Das fördert persönliches Wohlbefinden, denn eng gefasste Männlichkeitsnormen stehen im Zusammenhang mit Problemen wie Gewalt, Sucht, Suizid und sozialer Isolation (Quelle: Are men okay? Feministische Perspektiven auf Männlichkeit – mit Fikri Anıl Altıntaş (Teil 1) – Der Lila Podcast)
  • Feminismus fördert gleichberechtigte Partnerschaften, in denen Aufgaben und Verantwortung geteilt werden. Männer werden als Verbündete im Kampf gegen Sexismus und Gewalt gesehen. Sie sind aufgefordert, sich gegen Diskriminierung zu positionieren und andere Männer zur Reflexion und Veränderung zu ermutigen.

Bin ich Feminist:in?

Ich dachte schon immer, dass ich Feministin bin. Ich bin eine Frau, also bin ich auch Feministin. Das ist doch logisch, oder?

Doch dann wurde mir bewusst, dass ich die Gleichberechtigung, die ich forderte, nicht konsequent lebte.

Je mehr ich mich mit den Themen Feminismus, Gleichberechtigung, Sexismus und Diskriminierung auseinandersetzte, desto mehr erkannte ich, wie viel ich bisher falsch gemacht hatte. Es reicht nicht, zu sagen: Ich bin Feministin. Ich fordere Gleichberechtigung. Ich lehne Sexismus und Diskriminierung ab.

Ich ertappte mich dabei, dass ich Menschen, die ich zufällig in meiner Umgebung beobachtete, beurteilte: „Der Rock ist aber sehr kurz“, „Der Ausschnitt lädt ja zum Gucken ein“ und „Mit dem Make-Up sieht sie aus wie eine Zicke“ waren eine Reihe von Gedanken, die in meinem Kopf auftauchten, wenn ich andere Frauen betrachtete.

Ich diskriminierte sie.

Manchmal passiert mir das immer noch.

Es ist ein fest verankertes Gedankenmuster, dass sich durch die Sozialisation der Gesellschaft in meinem Gehirn entwickelt hat. Dieses Muster aufzubrechen, kostet Kraft und Zeit.

Heute sage ich: Ich möchte Feministin werden. Dafür arbeite ich jeden Tag an mir, meinen Gedanken, meinem Verhalten anderen und mir selbst gegenüber.

Bist du Feminist:in?

Ich wurde und werde diskriminiert

Das war mir lange nicht bewusst. Denn Diskriminierung ist nicht immer offensichtlich. Vor allen Dingen nicht dann, wenn ich selbst in diesen Strukturen aufgewachsen bin, sodass mir die Rollenbilder und das damit verbundene Verhalten normal erscheinen und ich sie nicht weiter hinterfrage.

„Jungs sind eben so“, habe ich gelernt und „Er neckt dich, weil er dich mag“, war die Lektion. Aber auch „Mädchen sind nicht gut in Mathe“ und „Es ist deine Aufgabe, dich zu kümmern“.

Erst im beruflichen Kontext erkannte ich, dass ich diskriminiert werde. Weil ich blond bin, weil ich klein bin, weil ich eine Frau bin: Ich werde unterschätzt, meine Expertise wird offen in Frage gestellt, ich werde nicht gewertschätzt, ich erhalte die Gehaltserhöhung nicht, ich erhalte die Entfristung nicht, und so weiter, und so fort.

Diese Form von struktureller Diskriminierung kann ich nicht beweisen. Was mich betrifft, bin ich mir sicher, dass in 90% der Fälle die Menschen, die mich diskriminiert haben, dies gar nicht bemerkten. Ihnen sind diese in ihren Gedanken fest verankerten Muster ebenfalls nicht bewusst oder sie hinterfragen sie nicht oder haben dafür gute Argumente (z.B. „wenn ich sie jetzt entfriste, ist sie innerhalb des nächsten Jahres in Elternzeit, obwohl wir sie brauchen“ oder „solange sie sich nicht beschwert, scheint es ja okay zu sein“).

Ich bin eine Frau. Also werde ich diskriminiert. In 90% der Fälle passiert das unbewusst. In 10 % der Fälle bewusst.

(Ich bin mir zu 100% sicher, dass mindestens 1 Mann mir diese Empfindung, diese Lebenserfahrung, in der Kommentarspalte auf Social Media absprechen wollen wird, sobald ich diesen Artikel dort poste – stay tuned).

Was der Feminismus für mich bedeutet

Ich wünsche mir eine Welt, in der jede:r frei entscheiden kann, wie er sie leben möchte, solange dieses Verhalten die Freiheit des anderen nicht verletzt (Kant). Ich wünsche mir eine Welt, in der die Würde jedes Menschen anerkannt und unangetastet bleibt.

Mit „jede:r“ meine ich dich, mich und alle anderen. Jede:n. Wirklich jede:n. Auch dich.


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