Jeder Teenager erfährt diesen Moment im Laufe seiner Schullaufbahn, wenn ihm klar wird, dass das Bildungssystem alles andere als gerecht gegenüber seinen Schüler:innen ist. Er steht dann vor einer schwierigen Entscheidung: Passe ich mich an oder steige ich aus?
Die hohe Zahl an Schulabbrechern in Deutschland sowie die Daten der PISA-Studien, die belegen, dass die soziale Herkunft nach wie vor maßgeblich für den schulischen Erfolg ist, beweisen, dass im Bildungssystem Deutschland alles andere als Gerechtigkeit herrscht:
Wo Schüler:innen „Stoff pauken“ anstatt zu lernen; wo die Noten wichtiger sind als die persönliche Entwicklung; wo der Abschluss mehr aussagt als ein Charakterzeugnis; wo die finanziellen Mittel des Elternhauses über die ideale Förderung entscheidet; wo Lehrer:innen nicht die Schule wählen können, die zu ihnen passt, sondern „zugewiesen“ werden; wo „Leistung“ (anstatt Entfaltung) als oberstes Ziel deklariert wird; da kann weder von Gerechtigkeit, noch von Bildung die Rede sein.
Wenn im Grundgesetz steht „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und Rechte zur individuellen und freien Entfaltung formuliert sind, wenn dort verankert ist, dass jede:r „ein Recht auf Bildung“ hat, wie kann es dann sein, dass dieses Recht nicht erfüllt wird?
Meine These dazu lautet: Die Gesellschaft verwechselt den Begriff der „Gleichberechtigung“ mit dem Begriff der „Gleichheit und Vergleichbarkeit“. Die Konsequenz aus dieser Haltung ist, dass Schule kein Instrument der Bildung, sondern des Vergleichs und damit der Selektion ist. Ihr wichtigstes Mittel an dieser Stelle ist die „Leistungsbeurteilung“ (umgangssprachlich: Note). Indem man nach „Gleichberechtigung“ (tatsächlich aber nach „Gleichheit“) strebt, wendet man das „objektive“ (obwohl jeder weiß und alle Studien beweisen, dass es höchst subjektiv und allenfalls eine Schätzskala repräsentiert) Mittel der Note einsetzt, um vermeintliche Vergleichbarkeit herzustellen und damit Chancengleichheit zu suggerieren. Man behauptet, die Maßstäbe der Beurteilung seien objektiv und damit habe jede:r Schüler:in dieselben Chancen auf Erfolg.
Doch Studien, und der allgemeine gesunde Menschenverstand, konnten diese Farce schon längst entlarven. Die Note beurteilt nicht die Leistung eines Schülers, nicht seine Mühen und Anstrengungen, sondern lediglich, ob er zu einem gewissen Zeitpunkt eben das Wissen besitzt, dass der Lehrende zur Abfrage ausgewählt hat. Die Note misst nicht etwa das individuelle Können des Schülers. Sie ordnet lediglich seine Leistung auf einer Skala ein, die sich im Vergleich mit seinen Mitschüler:innen aufstellt. Dieser Vergleich ist weder objektiv, noch überregional. Er findet innerhalb eines Klassenverbands, höchstens noch innerhalb eines Jahrgangs statt. Hat er das Pech, dass in seinem Jahrgang ein:e hochbegabte:r Schüler:in sitzt, erhält er dort die Note drei, während er in einem anderen Jahrgang, wo es keine:n hochbegabte:n Schüler:in gibt, im Vergleich die Note zwei erhalten hätte.
Diese Einschätzungen sind nicht an den Haaren herbeigezogen. Sie sind in der Fachliteratur und sämtlichen Studien zum Thema Leistungsbeurteilung in der Schule nachzulesen. Warum also wird an diesem Mittel festgehalten, wenn es doch so offensichtlich seine Aufgabe, nämlich der objektiven Messung, nicht erfüllen kann?
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