Robin Joseph, Schulpsychologe, debütiert mit seinem Roman „Die Frau, die eine neue Schule suchte“. Es geht um Schulwandel, um Zweifel und um Hoffnung. Eine junge Lehrerin, frisch aus dem Referendariat, wird mit der Realität des Schulalltags konfrontiert. Zweifel und Verzweiflung ergreifen sie bald. Soll das nun den Rest ihres Berufslebens so weitergehen? Ist sie deshalb Lehrerin geworden? Sie begibt sich auf eine spannende Reise der Selbstreflexion und des Austauschs mit Bildungsinnovator*innen.
Die Inspiration für die Geschichte stammt aus Robins eigenen Erfahrungen. Mir stand er für ein Interview zur Verfügung, um zu offenbaren, wie es zu der Geschichte kam.
Moin Robin, stell dich bitte kurz vor.
Ich bin Robin Joseph, 34 Jahre alt. Ich habe Psychologie studiert, dann aber zunächst als Quereinsteiger im Bereich digitale Transformation gearbeitet. Inzwischen arbeite ich in der Schulpsychologie Bonn.
Ich interessiere mich für Schulentwicklung und ich bin davon überzeugt, dass wir ganzheitlich systemische Veränderung brauchen.
Wie kamst du zu dieser Überzeugung?
Es gab nicht einen Schlüsselmoment, sondern mehrere Momente, die mich erkennen ließen, dass sich was ändern muss. Zum Beispiel sah ich mir eine Doku an, in der gezeigt wurde, wie Schule anders geht: Dass die Schüler eigenständig arbeiten und mit Begeisterung dabei sind. Das hat mich berührt und seitdem immer wieder beschäftigt. In mir kam der Wunsch auf, an so einer Schule zu arbeiten.
Ich fing an, viele Bücher zu dem Thema zu lesen. Ich sah Vorträge von Margret Rasfeld. Das Buch „Wie wir Schule machen“ begeisterte mich. In der Schulpsychologie Bonn gibt es eine Arbeitsgruppe „Schule neu denken“. Hier tauschen wir uns über neue Schulformate aus, in Bezug auf die Probleme der Schulpsychologie.
Ich hatte die Hoffnung, dass mehr Menschen erkennen mussten, dass es diese tollen Konzepte gibt. Ich merkte aber, dass die Menschen viele Zweifel haben.
Wie kam es also konkret zu der Buchidee?
Letzten Sommer (2020) schrieb ich aus langer Weile eine Erfahrung auf, die ich aus meiner Arbeit im Bereich digitaler Transformation kannte. Das Schreiben gefiel mir. Mir kam allerdings der Gedanke, dass ich nicht über mich schreiben möchte, sondern über eine fiktive Figur und dass es mit Schule zu tun haben sollte.
Ich entwickelte nach und nach das Szenario, die Figuren. Ich schrieb von Szene zu Szene, aber ich verlor den roten Faden. Also entwickelte ich die Story von vorne, also die Handlung neu und schrieb. Der Schreibprozess machte mir beim zweiten Anlauf mehr Spaß und es lief flüssiger.
Was waren deine Inspirationsquellen für die Geschichte?
Es ist eine Mischung aus Referendaren, die ich während meiner Arbeit kennengelernt habe und weiteren engagierten Menschen, die ich in Barcamps oder Hackathons kennengelernt habe. Es begegneten mir hierbei ähnliche Geschichten, die ich aufgegriffen habe.
Meine eigenen Gefühle und Erfahrungen auf der Reise, auf der ich mich befinde, flossen ebenfalls mit ein. Und nicht zuletzt natürlich die täglichen Erfahrungen als Schulpsychologe.
Ich habe an der 4. Aachener Gesamtschule hospitiert und mir online viele Modellschulen angeschaut. Die ESBZ ist eine Schule, die ich zwar nicht besucht habe, von der ich aber viele Berichte gelesen und gehört habe.
Wer ist die Hauptfigur? Wen repräsentiert sie?
Sie repräsentiert viele (werdende) Lehrer, die merken, dass sie ihre Schüler gar nicht mehr erreichen. Ich muss an so viele Gespräche denken: Dass die Person frustriert ist, über das, was sie tagtäglich in Schule erlebt, dass sie nicht mehr an ihre Schüler rankommen, dass man ertrinkt in den Aufgaben. Dass das, was man sich mal vorgestellt hat, was man als Lehrer ist, nicht der Realität entspricht, dass der Handlungsspielraum sehr eng ist. Denn dann kommt vielleicht jemand aus dem Kollegium um die Ecke, der kritische Bemerkungen macht oder einen sogar anprangert.
Auch eigene Erlebnisse haben in der Geschichte Platz gefunden. Zum Beispiel, wenn ich begeistert von einem Schulkonzept berichte, aber dann merke, dass viele andere einfach dasitzen und es sie kalt lässt. Besonders schade finde ich es, wenn Dinge von vornherein abgeschmettert werden, nach dem Motto „Ach, bei uns klappt das sowieso nicht“.
All das durchlebt die Figur.
Für wen hast du dieses Buch geschrieben?
Ich habe es primär für Menschen geschrieben, die sich nicht so intensiv mit dem Thema Schule beschäftigen, aber ein Interesse dafür haben. Deshalb schrieb ich eine leicht verständliche Geschichte, ohne große Fachwörter, die also inklusiv geschrieben ist. Man muss nicht Lehrer sein, um zu verstehen, was das Problem ist.
Gleichzeitig glaube ich schon, dass mehr Leute dieses Buch lesen werden, die einen direkten Bezug haben. Aber eigentlich hatte ich vor, eine Geschichte zu schreiben, für jemanden, der denkt, „würde mich auch mal interessieren“, aber sich vorher nie damit auseinander gesetzt hat. Dieses Buch wäre dann der Einstieg.
So lässt sich hoffentlich auch gesellschaftlich die Tür öffnen, um Schulentwicklungsprozesse in Gang zu bringen, denn Eltern und Großeltern spielen eine große Rolle. Denn selbst wenn die Schulleitung und Lehrer mitziehen, müssen auch die Eltern mit an Bord sein. Für sie habe ich es am ehesten geschrieben.
Welche Stellschrauben müssen wir drehen, um den Wandel voranzubringen?
Haltung und Achtsamkeit ist ein großer Hebel. Wenn wir vom günstigen Fall ausgehen und ein Entwicklungsprozess bereits im Gange ist, dann reicht es nicht, neue Methoden einzuführen, sondern die Haltung der Akteure muss mit reifen. Das ist ein langwieriger Prozess, der viel innere Reflexion verlangt. Achtsamkeit kann dabei ein Schlüsselfaktor sein.
Ein anderer wichtiger Hebel kann tatsächlich Digitalisierung sein, weil es in aller Munde ist und gesellschaftlich anerkannt. Es geht aber nicht darum, einfach alles digital zu machen, sondern es ist ein Hebel, um das Lernen an sich zu verändern: Dass individualisiertes Lernen stattfinden kann. Ein Tablet zu haben, ist nur ein erster Schritt. Und das wird gerne vergessen.
Was auch viel verändern würde, wäre, wenn wir der Partizipation mehr Raum geben würden. Dass würde grundlegende Dinge in der Schule verändern. Und langfristig auch die Demokratie stärken. Denn wo entsteht denn das Gefühl, dass die eigene Stimme Wert hat und gehört wird? In der Schule kann dies starten. Das funktioniert aber nicht, wenn die Schüler dort keinen Raum erhalten, um wirklich mitzureden und mitzuwirken.
Es gibt sicherlich noch viele weitere, aber diese drei sind aus meiner Sicht besonders wichtig, um anzufangen.
Welche Auswirkungen unserer Schulen begegnen dir als Schulpsychologe?
Die Schulpsychologie gäbe es nicht, wenn Schule gut wäre. Ich würde mir wünschen, dass mein Job überflüssig wäre. Aber leider geht die Tendenz genau in die andere Richtung, dass wir nämlich immer mehr gebraucht werden. Überspitzt gesagt, lautet der Auftrag an die Schulpsychologie häufig: „Repariert den Schüler bitte wieder, damit er bei uns mitmachen kann. Im System ist dafür einfach keine Zeit.“ Und noch weniger Zeit ist häufig, Schule an sich weiterzuentwickeln, damit solche Probleme weniger oft auftreten.
Corona hat uns besonders aufgezeigt, wo die Gelingensfaktoren lagen, wenn Distanzunterricht gut funktioniert hat. Nämlich, wenn Wert auf stabile Beziehungen und selbstständiges Lernen gelegt wurde. Die Schüler sind in diesen Fällen resilient und brauchen niemanden, der vorne steht und ihnen die Welt erklärt.
Eine der am häufigsten bei uns vorkommenden Themen ist Schulabsentismus oder Schulangst. Schule ist eigentlich ein Ort, wo man mit seinen Freunden zusammenkommt, wo man lernen kann. Wenn man aber sieht, dass die Ängste so groß werden, dass man lieber alleine zuhause bleibt, dann bekommt man eine Idee, wie schwer es für Schüler ist, wenn sie nicht in die Norm passen oder Zuhause nicht aufgefangen werden. An diesem Thema sieht man, wie gravierend die Situation ist.
Ich möchte nicht pauschal sagen, dass alle Schulen schlecht sind. Ich möchte auch nicht den Lehrern direkt einen Vorwurf machen, denn sie stecken auch in diesem schlechten System. Was ich sagen möchte: Es gibt Wege, um das Schulleben für alle wertvoller zu gestalten.
Noten sind in der Debatte um den Schulwandel aus meiner Erfahrung ein heikles Thema. Was sagst du dazu?
An diesem Thema erhitzen sich die Gemüter immer sehr. Da werden Missverständnisse offenbar. Denn wenn wir uns damit beschäftigen, was Schüler wollen, dann wollen sie nicht Noten bekommen, um zu wissen, wo sie stehen, sondern sie brauchen Feedback, individuelles Feedback, bezogen auf sie als ganzer Mensch.
Die Vergleichbarkeit entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft und Forschung.
Vielleicht gibt es einen Kompromiss, dass es ab einem bestimmten Schuljahr die Noten braucht, um den Einstieg in die Berufswelt zu sichern. Aber es sollte nicht der Mittelpunkt der Schule sein. Mittelpunkt sollte sein, Freude am Lernen zu entwickeln bzw. beizubehalten.
Wir könnten noch Stunden über das Thema Schulwandel sprechen und die einzelnen Stellschrauben näher betrachten. Aber an dieser Stelle danke ich dir zunächst für diesen Roman, der das Thema hoffentlich in den breiten Diskurs bringen wird. Danke für deine Zeit.
Hier geht es zum Buch: https://www.amazon.de/Frau-eine-neue
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