Pädagogische Beziehungen

In den letzten Tagen habe ich an der Online-Woche für pädagogische Beziehungen der Helga-Breuninger-Stiftung teilgenommen. Das hat mich dazu veranlasst, mich mit dem Begriff „pädagogische Beziehungen“ auseinanderzusetzen, da ich diesen vorher noch nicht kannte. Was ist mit „pädagogisch“ im Kontext von Beziehungen gemeint? Kann eine Beziehung überhaupt „pädagogisch“ sein? Oder sind gar alle Beziehungen „pädagogisch“?

Durchforste ich das Internet nach diesem Begriff, fällt mir auf, dass es sich um einen neumodischen Begriff der Pädagogik handelt. Offenbar ist in dieser Wissenschaft dank neuester Studien nun breiter Konsens entstanden, dass eine gelingende Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden die Grundlage ist, damit ehrliches Interesse von Seiten des Lernenden an neuen Lehrinhalten entstehen kann. Eine Weisheit, die übrigens indigene Völker schon immer kannten. Das ist aber ein Thema für einen anderen Artikel.

Zurück zur modernen Wissenschaft der Pädagogik. Feiern wir doch zunächst, dass die Erkenntnis zunehmend an Anhänger*innen gewinnt. Letztendlich scheint der erzwungene Ausbau von digitalen Lernformaten durch Corona auch den letzten Zweifler*innen die Augen geöffnet zu haben: Roboter können niemals das leisten, was ein*e menschliche*r Lehrmeister*in vermag, nämlich den Lernenden zu begeistern. Diese Erkenntnis gewonnen, wird nun fleißig darüber diskutiert, was es braucht, damit eine „pädagogische“ Beziehung gelingt.

„Zwar ist die Lehrer-Schüler-Beziehung immer persönlich geprägt, sie sollte aber zugleich professionellen Charakter haben. Schüler brauchen die Lehrperson als mitmenschliches Gegenüber beim Lernen – sie wollen als individuelle Persönlichkeiten wahrgenommen, unterstützt und geführt werden.

Konkret drückt sich das etwa darin aus, dass man an seinen Schülern interessiert ist und jeden auf seine Art schätzt; dass man Beiträge der Schüler aufgreift und vertiefende Rückfragen stellt; dass man die Stärken und Schwächen einzelner Schüler kennt und entsprechend anerkennen oder ermuntern kann; dass man außerhalb des Unterrichts auch für Persönliches ansprechbar ist; auch, dass man alle Abläufe im Klassengeschehen mitbekommt, eigene Fehler eingestehen kann, möglichst wenig ärgerliche oder abwertende Affekte zeigt. Nicht gemeint ist hingegen, Schülern der quasi „beste Freund“ sein zu wollen.“

https://www.goethe.de/de/spr/mag/21537868.html

Der/Die Lehrende soll seine Schüler*innen als individuelle Persönlichkeiten wahrnehmen, sie unterstützen und begleiten. An dieser Stelle frage ich mich: Sind das nicht die allgemeinen Regeln der Menschlichkeit im Umgang mit anderen Menschen? Brauchte es erst das Jahr 2020 und die Pandemie, damit die Pädagogik hier Konsens erreicht? Aber stimmt, wir wollten diese Erkenntnis feiern, nicht länger den Kopf schütteln – schließlich wurde hier auf konventionellem Pflaster erreicht, was Reformpädagog*innen seit Jahrzehnten predigen.

Quelle: pixabay.com

In diesem Zitat wird nun auch sichtbar, was das Adjektiv „pädagogisch“ beschreiben soll. Beziehung ja, aber bitte nicht zu freundschaftlich. Aber wie Vertrauensperson sein, wenn Freundschaft tabu ist? So heißt es doch in der Empfehlung des Goethe-Instituts, dass die Lehrperson für Persönliches ansprechbar sein soll. Und schauen wir tiefer in die menschliche Psyche und das menschliche Gehirn hinein, weiß die Neurowissenschaft nun schon seit wenigstens einem Jahrzehnt: Nur, was das Herz zum Klingen bringt, aktiviert den Lernmodus des Gehirns nachhaltig. Die Betonung liegt hier auf nachhaltig, denn nur, was mit positiven emotionalen Stimmungen verknüpft ist, bleibt dauerhaft im Gehirn gespeichert, wird eingebettet in das komplexe Netzwerk.

Ist diese emotionale Resonanz mit einer „pädagogisch“-professionellen, also höflich distanzierten Beziehung erreichbar? Wovor haben die Pädagogik-Wissenschaftler*innen hier Angst? Warum darf Lehrer*in nicht auch Freund*in sein?


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